Vernissage - Ausgabe Sept - Okt. 2015
Mag. Hubert Thurnhofer, Galerist, Kurator, Autor
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Chaos und Ordnung, Faszination und Fadesse – das sind häufig gesetzte Kontrapunkte, die Philosophen zum Nachdenken anregen und Künstler zu Kunstwerken inspirieren. Faszination und Chaos ist eine neue Themenstellung, die impliziert: Faszination des Chaos'. Gilt deshalb auch der Umkehrschluss: Fadesse der Ordnung? Verena Prandstätter und Ernst Zdrahal haben sich diese Fragen gestellt und 17 faszinierende Gemeinschaftsarbeiten dazu geschaffen, Stephanie Morawetz hat mit fotografischen Verfremdungen das Chaos verarbeitet, das ein Taifun auslösen kann.
Ordnungsprinzipien dominieren die Werke von Verena Prandstätter und Ernst Zdrahal. Prandstätter arbeitet mit Stoffen, deren Herstellung jahrhundertealten Techniken und Regeln folgt. Ernst Zdrahal arbeitet mit eigenen Monotypien, die auf Verfahren jahrhundertealter Drucktechniken aufbauen. Der exakte Scherenschnitt bei Prandstätter und die strenge grafische Linie bei Zdrahal verbindet ihre Werke formal. In der Serie Faszination + Chaos haben sie ihre formalen Überschneidungen inhaltlich erweitert.
Verena Prandstätter hat von ihren Weltreisen hunderte Stoffe mitgebracht, Möbelstoffe, Seide, Leinen, Gobeline. Was sie daraus macht ist weniger als „Textilkunst“ zu bezeichnen, als vielmehr Malerei mit Stoffen. Sie setzt die Stoffe nicht einfach nach Mustern und Farben nebeneinander, sondern überlagert oft grobe und feine Stoffe ähnlich wie bei lasierender Malerei. Bei Bedarf übermalt sie die Stoffbilder mit Acryl-Farben, Ölkreide und Leim.
Aus Stoffen, die Materialien für Blusen oder Hemden sein könnten, komponiert Prandstätter Formen und Strukturen, die Zdrahal zu völlig unterschiedlichen Geschichten inspirieren. „Ende der Vorstellung“ und „Die Klavierspielerin“ sind Beispiele aus dem Zyklus, die zeigen, welche Assoziationen die Vorlagen von Verena auslösen. Für „Alfred Hrdlicka und das Trojanische Pferd“ und andere Bilder hat Zdrahal die Vorlage geliefert. Pathetisch formuliert: in jeder Vorlage eröffnet sich eine eigene Welt. Wie ein Trabant umkreist das Trojanische Pferd die Erde bzw. die Welt des Bildhauers Alfred Hrdlicka, der aus einer Felswand Menschen formt. Die aus dem Chaos geformten Felsschichtungen transformiert der Bildhauer zu Menschenbildern, die stärker faszinieren als manche lebende Individuen unserer Zeit.
Mag. Hubert Thurnhofer
Galerist, Kurator, Autor
Dr. Michaela Preiner, Herausgeberin und Chefredakteurin der European Cultural News
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Verena Prandstätter
Farben, Stoffe, Bewegung, Kommunikation und interkultureller Austausch. All das vereint Verena Prandstätter in ihren künstlerischen Projekten und Kunstobjekten.
Stoffe aus Afrika und Indien, zwei Kontinente, mit denen sie persönliche Erlebnisse verbindet, ergänzen oft Farben und Leinwände, die sie in Wien, wo sie ihren Lebensmittelpunkt hat, vorfindet. Daraus entstehen dann Collagen mit starken farbigen Spuren, welche die Bilder rhythmisieren. „BEGEGNUNGEN“ nennt sich eine solche Serie. Darin zeigt sie abstrahierte, menschliche Interaktionen und visualisierte, auf den Punkt gebrachte Metaphern unterschiedlichster Gefühlsregungen.
In ihrem Zyklus „MAGNETBILDER“ verfolgt Prandstätter dagegen die Idee, Bilder so zu gestalten, dass deren Form jederzeit nach Lust und Laune verändert werden kann. Mehrere Bildtafeln werden zu einem Ganzen vereint, bleiben jedoch dabei beweglich. Das bedeutet, dass die Besitzerinnen und Besitzer dieser Werke in die Lage versetzt werden, je nach eigenem Wunsch und Empfinden, die verschiedenen Bilder untereinander zu vertauschen oder auch um ihre eigene Achse zu drehen. So sind nicht nur vielfältige Kombinationen möglich, sondern die Magnetbilder wirken gleichzeitig als Kommunikationsinstrumente. Der persönliche Ausdruck ist dabei ein Kriterium, die Wahrnehmung der anderen eine zweite. Eine einmal gefundene Kombination kann lange statisch an der Wand bleiben - bis der Zeitpunkt zur Veränderung gekommen ist.
Das Thema Veränderung steht in Verena Prandstätters Arbeiten an zentraler Stelle. In ihren Performances verknüpft sie kreative Intuitionen mit zuvor gefertigten, reflektierten Objekten und spontaner Bewegung. Dadurch wird den Zusehenden klar, dass alles im Leben von Veränderung geprägt ist und Stillstand eine reine Fiktion darstellt. Das Ausleben der eigenen Kreativität und zugleich vorbildhaft Anstoß geben, selbst seine eigenen, oft tiefliegenden schöpferischen Ideen zuzulassen, zeichnet die Künstlerin ebenfalls aus. Ihre eigenen Arbeiten fungieren dabei als Katalysator.
Prandstätters Arbeiten lassen sich nicht nur einem Kunstgenre zuordnen. Brückenschlagen - mit und durch Kunst und Kommunikation - ist eines ihrer Markenzeichen. In ihren Werken übertritt sie beständig Grenzen, oder versucht erst gar nicht, diese einzuziehen. So sehr es sich der Kunstmarkt auch immer wünscht, eines kann Verena Prandstätter ihm nicht erfüllen. Für sie gibt es keine ordentliche Schublade, in die man ihre Arbeit pressen könnte.
Dr. Michaela Preiner, Herausgeberin und Chefredakteurin der European Cultural News
Claudia Kragulj, Kunsthistorikerin - Mai 2013
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Verena Prandstätter
Verena Prandstätters Geschichte beginnt in der Welt der Mode, dem Reich des Textilen, und nicht nur ihre, auch die ihrer Großmutter und Mutter. Letztere war in der Nachkriegszeit eine wichtige Modedesignerin in Österreich. Doch es wäre nicht Verena, wenn sie nicht ihre Fühler stets in neue Richtungen ausstreckte, sogar bis in den kriegsgeschüttelten Sudan, wo sie ein Kulturvermittlungsprojekt organisierte. Ausgehend von einem Text, den sie verfasste, begann ein Dialog mit dortigen KünstlerInnen - ein sudanesischer Musiker, vertonte ihren Text, dann wurde Tanz, Video und schlussendlich auch Textiles in das Projekt integriert – ein Austausch, der bis heute anhält.
Kunstsparten sind nicht voneinander abgetrennt, auch wenn sie innerhalb ihres Feldes eigenen Logiken folgen. Kunstsparten oszillieren, befruchten und durchdringen einander. Und das ist gut so.
Die Suche nach Verbindungen
Als Trägermaterial verwendet sie die klassische Leinwand. Auf der Suche nach verbindenden Elementen stößt sie auf das Material Pappmaché. Sie entwickelt mit diesem Material formale und physische Verbindungen mit textilen Stoffen. Wie auch Stoff hat Pappmaché eine sehr sinnlich haptische Qualität. Die Haptik spielt besonders bei der Produktion von Pappmaché für die Künstlerin eine wichtige Rolle.
Pappmaché wird bekanntlich aus Papier hergestellt, zumeist aus alten Zeitungen. Dass Verena Prandstätter zu Material mit gedruckten Worten greift, könnte kein Zufall sein, zumal sie doch selbst immer wieder texterisch tätig ist. Selbstverständlich ist für sie dabei auch, dass sie für das Pappmaché nur bestimmte Teile der Zeitungen verwendet. Artikel und Fotos, die von Gewalt handeln, schneidet sie aus und verwendet sie nicht.
Das Papier wird händisch zu feinsten Stückchen zerrissen und mit Wasser und Kleister zu einem neuen Gemisch vermengt. Das Material durchläuft eine Transformation, an deren Ende eine neue Form steht. Verena experimentiert bei ihrer Herstellung von Pappmaché mit verschiedensten Zeitungen bis sie zu einem zufriedenstellenden Ergebnis für die Qualität ihres Pappmachés kommt.
Auch Textilien sind feinste jedoch geordnete und strukturiertere Fasergemische. Dazu gemacht, um unsere Körper zu umhüllen und zu berühren.
Beide Materialien - Textil und Pappmaché - versucht die Künstlerin miteinander in Beziehung zu setzen. Quadratische Leinwände fungieren als Trägermaterial und Bühne, auf der die beiden Materialien die Hauptrolle spielen und auftreten - begleitet nur von etwas Farbe.
Mit Stoffen malen...
nennt die Künstlerin die Art ihres Arbeitens. Und so wie manche MalerInnen ihre Farben hüten wie kostbare Schätze, besitzt Verena einen wahren Fundus an verschiedensten Stoffen, sortiert nach Farbtönen.
Mal wandern Stoff und Pappmaché in ihren Werken nebeneinander her, fast ohne einander zu berühren, wie etwa in dem Bild Nebeneinander mit grünem Stoff. Ein anderes Mal treffen zwei rote Textilstränge aufeinander, um, kurz darauf, wieder eigene Wege zu gehen, während einer der Stränge noch das Pappmaché zu durchdringen versucht.
In einem anderen Bild kreuzen sich zwei gleiche Stoffbahnen der Farbe Orange ohne zu bemerken, dass sich da bereits das Pappmaché frech über sie drüber legt.
Woanders wiederum bereitet Pappmaché dem roten Stoff die Bühne, indem es rote hängende textile Verknotungen durch vertikale Spuren im Pappmaché formal begleitet.
Im Bild Bereicherung mit gelbem Stoff sucht das Pappmaché die textilen Falten und Würfe zu übernehmen, zu imitieren, um sich bei dieser Spurensuche weiter zu entwickeln.
verknüpft – verwebt – verknotet – verdreht – verflochten – verschlungen – verbunden
Claudia Kragulj, Mai 2013